Wie kommt die Farbe in die Rote Bete oder in die Möhren?

Die Natur bietet uns vielerlei Farbspektakel. Besonders eindrucksvoll sind beispielweise die leuchtend-goldenen oder tiefroten Ahornwälder Nordamerikas im ‚Indian Summer‘ oder die sogenannten ‚Superblooms‘, die auftreten, wenn es in einer Wüstenregion außergewöhnlich viel geregnet hat. Dann keimen die Samen im trockenen Wüstenboden gleichzeitig und die darauffolgende gleichzeitige Blüte von Milliarden von Pflanzen verfärbt die Wüste kurzzeitig in ein lebendiges Meer an Orange- oder Lilatönen. Aber selbst direkt auf unserem Teller spielen sich regelmäßig Farbspektakel ab. Rote Beete und Möhren sind dafür eindrucksvolle Beispiele. Aber wie kommt das charakteristische Tief-Lila oder Satt-Orange in die Pflanzen? 
Tatsächlich sind Pflanzen Meister in der Herstellung Farbstoffen. Das liegt daran, dass ihre Zellen die vielseitigsten chemischen Fabriken der Welt sind. Das ist auch dringend nötig, denn Pflanzen müssen sich ständig an das anpassen, was aus ihrer Umwelt auf sie einströmt, seien es beispielweise Schädlinge, Temperaturschwankungen. Dann bei Bedarf den passenden Stoff, als Lockmittel, zum Schutz, zur Kommunikation oder zur Abwehr, herzustellen ist deshalb überlebensnotwenig. Viele dieser Stoffe sind Farbstoffe.
Der charakteristischste Farbstoff von Pflanzen ist das Blattgrün, auch Chlorophyll genannt. Dass Pflanzen grün sind, scheint selbstverständlich, aber tatsächlich ist das Blattgrün nur der für uns sichtbare Teil von fantastischen Nanomaschinen, die in den Pflanzenzellen – in den sogenannten Chloroplasten – Licht einsammeln und die Lichtenergie ausnutzen um über die Fotosynthese den Rest der chemischen Fabriken zu betreiben. Diese Nanomaschinen sind flexibler als jede Solarzelle und in ihrem Aufbau so komplex, dass kein es für uns Menschen bisher unmöglich ist, sie exakt zu verstehen oder sogar nachzubauen. Dennoch treiben sie die chemischen Fabriken der Pflanzenzellen an. Damit bilden sie nicht nur die Grundlage fast allen Lebens, sondern auch für unsere moderne Zivilisation, dadurch dass sie uns Nahrung, Medizin, Werkstoffe und Energie liefern. 
Das Blattgrün ist also als Farbstoff die Grundlage dafür, dass Pflanzen viele andere Stoffe machen können. Ein Gang durch die Obst- und Gemüsetheke, oder ein Besuch beim Florist, zeigt neben dem Grün, die volle Farbpalette von Rot, Orange, Gelb bis hin zu Rosa oder Lila und sogar Blau. Die meisten dieser Farben werden von wenigen Arten von chemischen Grundsubstanzen gebildet, so wie aus wenigen Formen einzelner Bauklötze ganz unterschiedliche Gebäude entstehen können.
Blau- oder Lilatöne, so wie in der Roten Beete, entstehen oft durch sogenannte Anthocyane. Verwandte Farbstoffe sind auch für die Rot- und Blautöne von vielen Blüten, Blaubeeren, Himbeeren oder Auberginen verantwortlich. Sie werden aber auch in den Blättern von vielen Pflanzen gemacht, die einem Stress ausgesetzt sind, beispielsweise bei Kälte oder zuviel Licht. Dann schützen sie die Zelle, vermutlich indem sie als ‚natürliche Sonnencreme‘ schädliches Licht abfangen, aber auch weil sie freie Radikale einfangen und somit antioxidative Wirkung haben. Anthocyane sind wasserlöslich und werden in der Zelle in der sogenannten Vakuole gespeichert. Ihre Farbe ist zudem vom pH Wert in der Vakuole anhängig, sodass sie rasch zwischen rötlichen bis hin zu bläulichen oder gar grünlichen Tönen wechseln können; auch beim Kochen zeigen sich Veränderungen in der Farbe aufgrund des pH Wertes, weshalb Blaukraut in jenen Regionen Deutschlands, in denen das Kochwasser etwas saurer ist, zu ‚Rotkraut‘ wird.
Die Pflanze hat über ihre genetischen Programme Kontrolle darüber, wann und in welchen Geweben genau diese Anthocyane hergestellt werden. Deshalb färbt sich beispielsweise die Rübe der Roten Beete im Laufe ihrer Entwicklung tief-lila, während andere Pflanzenteile grün oder auch farblos erscheinen. Da die meisten Pflanzen prinzipiell in der Lage sind diese lila-roten Farbstoffe herstellen (also die notwendigen genetischen Programme dafür haben, die sie jedoch nicht immer einschalten) wurden durch Züchtung viele Nutzpflanzen so ausgewählt, dass sie Farben haben, die auf dem Teller besonders attraktiv wirken. Beispiele dafür sind nicht nur die Rote Beete, sondern auch der Rotkohl, der Radicchio Salat oder der violette Blumenkohl. Oft sind dank Züchtung auch Obst und Gemüse erhältlich, in denen die Herstellung der Anthocyane nicht aktiviert wurde, also z.B. gelbe Beete, Weißkohl, Chicoree Salat oder weißer Blumenkohl. So kommt farbliche Abwechslung auf den Teller.
Für das lecker-knackige Orange in der Möhre sind dagegen Farbstoffe verantwortlich, die aus anderen Bauklötzchen aufgebaut sind. Sie nennen sich Carotinoide. Zwar sind die Carotinoide nach der Karotte benannt, weil sie dort besonders auffällig sind. Sie werden jedoch in den Blättern aller Pflanzen hergestellt, denn sie sind wie das Blattgrün wichtige Bestandteile Nanomaschinen der Fotosynthese. Typischerweise wird ihre gelbe oder orange Farbe jedoch vom Grün des Chlorophylls überdeckt. Erst im Herbst, wenn in den Blättern das Chlorophyll abgebaut wird kommt ihre leuchtend gelbe oder orange Farbe eindrucksvoll zum Vorschein. Carotinoide sind völlig andere Stoffe als Anthocyane, denn sie sind fettlöslich und deshalb in der Zelle auch nicht in der Vakuole zu finden. Stattdessen sind sie in den sogenannten Plastiden angereichert, zu denen auch die Chloroplasten gehören. Findet in einem Chloroplasten keine Fotosynthese mehr statt, wird er häufig zu einem sogenannten Chromoplasten umgebaut und dort sind dann die Carotinoide in kleinen Fetttröpfchen gelöst oder können sogar Carotinoid-Kristalle bilden. Solche Chromoplasten finden sich nicht nur in Karotten, sondern auch in Süßkartoffeln, Tomaten oder Paprika. Einerseits sind also Carotinoide in grünen Zellen ‚verdeckt‘ da und kommen zum Vorschein wenn das Blattgrün abgebaut wird. Andererseits werden aber auch Carotinoide z.B. in den Zellen von Früchten in besonders hohen Mengen hergestellt, was wiederum durch genetische und hormonelle Programme gesteuert wird. Deshalb wird eine Möhre in ihrer Entwicklung allmählich orange. Am oberen Ende können Möhren oft noch etwas grünlich erscheinen, wenn ihre orange Farbe von etwas Chlorophyll überdeckt wird. Auch Carotinoide sind Antioxidantien und können die Zelle und ihr Erbgut vor Schaden schützen. Eines dieser Farbstoffe, das Betacarotin, kann zudem zu Vitamin A umgebaut werden, was für das Sehen von Menschen und Tieren wichtig ist. 
In violetten Möhren sind sowohl Carotinoide wie auch Anthocyane enthalten. Auch gibt es Versuche ‚Schwarze Tomaten‘ zu züchten, die neben ihren Carotinoiden besonders hohe Mengen an Anthocyanen herstellen. Inwiefern die Menge an Antioxidantien in unserem Essen gesundheitsfördernd ist, ist nicht abschließend geklärt. Gleichzeitig werden Oxidationsprozesse durch freie Radikale mit vielen Krankheiten und dem Altern in Verbindung gebracht, sodass besonders farbenfrohes Obst oder Gemüse auf dem Teller nicht nur lecker aussieht, sondern vermutlich auch einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesundheit leistet.

Pof. Dr. Markus Schwartzlänger

Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen

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