Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Diese Frage können wir nicht nur unseren Mitmenschen stellen. Neue Forschungsergebnisse zeigen: Auch Tiere können diese Frage beantworten und zwar in Abhängigkeit ihrer zugrundeliegenden Stimmung.
Ziel der sogenannten Wohlergehensdiagnostik in der verhaltensbiologischen Forschung ist es, mit naturwissenschaftlichen Methoden zu „messen“, wie es Tieren geht. Dabei interessiert uns nicht nur, ob sie rein physisch gesund sind, sondern auch, wie sie sich „fühlen“, ob sie traurig sind oder glücklich, depressiv oder euphorisch, optimistisch oder pessimistisch. Doch so einfach dies in der Theorie klingen mag, so kompliziert ist es in der Praxis. Denn was uns fehlt, ist die gemeinsame Sprache. Wir können Tiere nicht einfach fragen, wie es ihnen geht oder was sie fühlen. Wir brauchen also vielmehr geeignete Indikatoren, die uns indirekt erlauben, etwas über die Gefühlswelt unserer Tiere zu erfahren.
Lange Zeit wurden hier insbesondere physiologische und verhaltensbiologische Maße eingesetzt. So wurden Stresshormone bestimmt oder angstähnliches Verhalten beobachtet, um negative Emotionen wie Furcht oder Angst zu beschreiben. Auf der „positiven Seite“ galten Spielverhalten oder lachähnliche Laute wiederum als Indikatoren für Freude oder Wohlgefühl. Eindeutig waren diese Messungen aber oftmals nicht, da Stresshormone zum Beispiel auch erhöht sein können, wenn das Tier eine Belohnung erwartet.
Etwas eindeutiger sind nun neuere Ansätze, die ihren Ursprung in der humanpsychologischen Forschung haben. Demzufolge wissen wir, dass depressive Menschen häufig nur das Negative sehen. Mit anderen Worten: Für sie ist das Glas halbleer. Glückliche Menschen hingegen konzentrieren sich auf das Positive – für sie ist das Glas halbvoll. Dank des britischen Verhaltensforschers Michael Mendl konnte genau dieser Ansatz nun in die Tierwelt übertragen werden. Wie genau können wir uns das vorstellen?
Natürlich können wir Tiere nicht direkt fragen, ob das Glas für sie halbvoll oder halbleer ist. Stattdessen lernen die Tiere zunächst in einer einfachen Diskriminationsaufgabe, zwischen zwei Hinweisreizen zu differenzieren und auf diese unterschiedlich zu reagieren. Konkret heißt das: Die Tiere lernen zum Beispiel, bei einem hohen Ton einen Hebel links zu drücken, um eine Futterbelohnung zu bekommen. Bei einem tiefen Ton hingegen gilt es, einen Hebel rechts zu drücken, um eine milde Bestrafung, zum Beispiel einen Lichtblitz, zu verhindern. Sobald das Tier diese Aufgabe gelernt hat, wird das „bis zur Hälfte gefüllte Glas“ präsentiert. In unserem Beispiel ist das ein Ton genau in der Mitte zwischen den ursprünglichen Hinweisreizen. Da dieser Ton eigentlich „neutral“ ist und keine Antwortrichtung vorgibt, kann das Tier nun frei entscheiden, welchen Hebel es betätigen möchte. Drückt es den Hebel links, spiegelt dies die Erwartung einer Futterbelohnung. Das Tier interpretiert den Ton also optimistisch. Betätigt es hingegen den Hebel rechts, so scheint das Tier eine Bestrafung zu erwarten. Es bewertet den Ton also eher pessimistisch. Das Wichtige dabei: Die Bewertung ist keineswegs Zufall, sondern abhängig von der aktuellen Stimmung des Tieres. Beobachten wir bei einem Tier also hauptsächlich optimistische Bewertungen, so wissen wir: diesem Tier geht es sehr wahrscheinlich besser als einem Tier, welches hauptsächlich pessimistische Bewertungen vornimmt.