Das ist eine wirklich gute Frage, über die viele Menschen schon nachgedacht haben – und auf die man unterschiedliche Antworten geben kann.
In den letzten Monaten haben viele Menschen aufgrund der Corona-Pandemie ihren Job verloren. Das ist für die Betroffenen in den meisten Fällen eine schlimme Nachricht, weil ihnen dadurch eine erfüllende, sinnstiftende Tätigkeit, der Kontakt zu Kolleg:innen und nicht zuletzt Einkommen verloren gehen. Zumindest der Einkommensverlust wird in Deutschland teilweise durch den Sozialstaat ausgeglichen. Je nachdem wie lange sie vorher gearbeitet haben und wie hoch ihr Einkommen war, bekommen die Arbeitslosen dann einen Ersatz für ihren Arbeitslohn aus der Arbeitslosenversicherung. Das ist das sogenannte Arbeitslosengeld I. Nach 12 Monaten (bei älteren Arbeitslosen nach bis zu 24 Monaten) enden die Zahlungen des Arbeitslosengeld I – man bekommt dann das Arbeitslosengeld II, das häufig Hartz IV genannt wird. Anders als das Arbeitslosengeld I sind die Hartz-IV-Zahlungen nicht davon abhängig, wie hoch der Lohn war, bevor man arbeitslos wurde. Sie entsprechen der Grundsicherung, die zurzeit für eine alleinstehende Person 446 EUR plus Wohn- und Heizkostenzuschüsse beträgt.
Die Grundsicherung wird allerdings bedarfsabhängig ausgezahlt, der- oder diejenige, der Unterstützung bekommen möchte, muss beweisen, dass er oder sie tatsächlich bedürftig ist. Dazu muss man dem Job-Center, das für die Auszahlung von Hartz 4 verantwortlich ist, klarmachen, dass man tatsächlich kein (oder zu wenig) Einkommen oder Vermögen hat und dass man nicht mit jemandem zusammenlebt, mit dem man eine sog. Bedarfsgemeinschaft bildet (der dann dazu verpflichtet wäre, für den Unterhalt aufzukommen). Darüber hinaus muss man nachweisen, dass man dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, sich regelmäßig auf Jobs jeder Art bewirbt und bestimmte Meldefristen einhält. Tut man dies nicht, können die Leistungen gekürzt werden. Diese Anforderungen werden von vielen Hartz-IV-Bezieher:innen als diskriminierend, entwürdigend und bloßstellend empfunden. Daher wird häufig die Frage gestellt, ob man darauf nicht verzichten könnte und stattdessen die Grundsicherung bedingungslos auszahlen könnte – also ohne aufwändigen Beweis der Bedürftigkeit und ohne anstrengende Behördengänge. Das Konzept eines solchen bedingungslosen Grundeinkommens hat in Deutschland und vielen anderen Ländern viele Unterstützer:innen. Die Unterstützung wird in vielen Ländern dadurch motiviert, dass es dort gar kein Grundeinkommen gibt. Das ist in Deutschland anders – hier gibt es ein „bedingtes“ Grundeinkommen.
Wäre das Grundeinkommen hingegen unbedingt, müsste es nicht mehr aufwendig beantragt werden und würde ohne Bedarfsprüfung ausgezahlt. Echte Bedingungslosigkeit würde allerdings bedeuten, dass es auch keine Berücksichtigung besonderer Umstände wie hoher Wohnoder Heizkosten geben könnte. Es ist also möglich, dass sich gerade die besonders Bedürftigen durch das bedingungslose Grundeinkommen schlechter stellen. Verhindern ließe sich dies nur, indem die soziale Sicherung deutlich erhöht würde.
Und nun komme ich endlich auf die Frage zurück. Die Befürworter:innen des bedingungslosen Grundeinkommens erhoffen sich deutliche Einsparungen bei den Bürokratiekosten. Wenn die Bedarfsprüfungen wegfallen, so das Argument, werden Ressourcen frei, die an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden können. Die Verwaltungskosten der Job-Center betragen zur Zeit ca. 6 Mrd. EUR. Da aber nur ein Teil der Mittel für die Bedarfsprüfung aufgewandt wird, andere Tätigkeiten wie bspw. die Vermittlung Arbeitsloser aber auch bei einer bedingungslosen Grundsicherung weitegeführt werden, ist nicht damit zu rechnen, dass 6 Mrd. EUR eingespart werden könnten. Und selbst wenn es 6 Mrd. EUR wären – große sozialpolitische Sprünge kann man damit nicht machen. Schließlich sind 6 Mrd. EUR nur 72 EUR pro Kopf. Anders gesagt, jeder Bundesbürger gewinnt 6 EUR im Monat, und das auch nur, wenn man annimmt, dass die Jobcenter-Verwaltungskosten auf null gesenkt werden.
Auch sonst ist nicht abschließend geklärt, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen die Hoffnungen seiner Befürworter:innen erfüllen würde. Das heißt aber nicht, dass alles so bleiben sollte, wie es jetzt ist. Die Bedarfsprüfung muss nicht so laufen, dass sich die Beteiligten fühlen, als müssten sie sich vor der Behörde „nackig machen“. Eine konsequente Digitalisierung der Verwaltung könnte alle Informationen bereitstellen, sodass der Kontakt mit der Behörde bei Beantragung der Grundsicherung reduziert und würdiger gestaltet werden könnte. Auch die Sanktionen für den Fall, dass man sich dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellt, sollten gründlich hinterfragt werden, ob sie ihr Ziel erreichen oder nicht häufig zum Gegenteil führen und die Sanktionierten ins Abseits und in die Armut drängen. Eine Reform, die in vielen kleinen Schritten das bestehende System graduell zu verbessern versucht, hätte auch politisch deutlich bessere Chancen auf Durchsetzung.