War Mohammed auch Jude?

Etwas zugespitzt kann man sagen, dass das Judentum eine Grundlage für den Islam war. Die Anfangszeit der Verkündigung des Korans durch Mohammed war geprägt durch Themen wie den Glauben an den einen Gott, die Auferstehung aus den Gräbern und die Verkündigung des jenseitigen Endgerichts sowie die Darstellung eines in der Welt handelnden Schöpfergottes. Es sind Themen, die wir auch in der jüdischen Tradition finden, wobei von einer buchstäblichen Übernahme aus jüdischen Quellen überhaupt nicht die Rede sein kann, sind doch diese Themen in der Anfangsphase des Korans in kurzen arabischen Sätzen von drei bis fünf Wörtern in einer aufrüttelnden emotionalen Sprache verkündet worden. Und dennoch bewegt sich auch hier der Koran nach Themenstellung und Inhalt in die Richtung der jüdischen Überlieferung. 

Und auch die in der jüdischen Tradition rezipierten Prophetengeschichten traten im Koran ab der mittelmekkanischen Phase immer deutlicher in den Vordergrund. Mohammed hob nun jene Themen aus der jüdischen Tradition hervor, die seine Verkündigung stützten, wozu vor allem drei Punkte zählen: die Offenbarung des Gottes Israels, der Auftrag der prophetischen Verkündigung und Gottes Gericht im Jenseits. Mohammed war es wichtig, in einer kontinuierlichen Linie zur jüdischen, aber auch zur christlichen Tradition wahrgenommen zu werden. Er wollte nicht als Stifter einer eigenen, neuen Religion gesehen werden, sondern als Fortführer der Botschaften Mose und Jesu. Daher spricht der Koran vom Auftrag Mohammeds als Erinnerer (Q 88:21). Der Koran betont, dass die jüdischen Erzählungen, auf die er rekurriert, Mohammed schon vor der koranischen Verkündigung bekannt waren, denn der Koran erinnere ihn nur daran: „So erzählen wir [Gott] dir [Mohammed] Geschichten von dem, was früher geschah. Wir haben dir von uns her Erinnerung (bzw. erinnernde Mahnung) gegeben.“ (Q 20: 99) 

Nicht allein die Tatsache, wie ausführlich der Koran die die Prophetengeschichten anklingen lässt, ist bemerkenswert, sondern auch die Art und Weise, wie er sie rezipiert, lässt sich daraus doch schließen, dass die Adressaten Mohammeds mit den alttestamentlichen Figuren vertraut gewesen sein müssen. Mohammed beabsichtigte keinen Bruch mit den religiösen Traditionen eines Judentums, das zu jener Zeit in Arabien stark verbreitet war, er würdigte diese Tradition vielmehr und wollte sie für seine Verkündigung fruchtbar machen.

In etwa vierzig Suren wird die Geschichte Mose erzählt, wobei der Schwerpunkt in Mose Verkündigung des Glaubens an den einen Gott und im Kampf Mose und seines Volkes gegen den Pharao liegt. Deutlich konturiert sich der starke Bezug zwischen Mohammed und Moses, eine Verbindung, die so weit reicht, dass der Koran davon spricht, Mohammed sei schon in der Tora und im Evangelium angekündigt worden: „Und ich [Gott] werde sie (Gottes Barmherzigkeit) denen zukommen lassen, die fromm sind und die soziale Pflichtabgabe (Zakat) geben, und die an unsere Zeichen glauben, die den Gesandten [Mohammed] folgen, den sie bei sich in der Tora und im Evangelium verzeichnet finden …“ (Q 7: 156-157)

Schon bei seiner Ersterwähnung im Koran (Q 87:18–19) taucht Moses zusammen mit Abraham als Zeuge der Verkündigung Mohammeds auf. Über die Botschaft Mohammeds heißt es hier: „Das steht auf den früheren Blättern, den Blättern Abrahams und Moses.“ Diese Berufung auf alttestamentliche Propheten zur Bestätigung der Botschaft Mohammeds und deren Verortung in einer Linie mit anderen Gesandten Gottes wird sich wie ein roter Faden durch den Koran ziehen.

Der Pharao wird als Hauptadressat und Gegenspieler Mose dargestellt, er ist der eigentliche Widersacher der mosaischen Botschaft. Moses versucht, den Pharao zu bekehren, dieser jedoch ist zeigt sich uneinsichtig. Er lehnt Mose Botschaft nicht nur ab, er verfolgt ihn und seine Anhänger gar, weshalb ihm eine vernichtende göttliche Strafe zuteilwird (Q 79:15–25).

An wen richtete sich der Koran mit diesen Erzählungen? Offensichtlich nicht an Juden, sondern an die Mekkaner, die zu dieser Zeit die eigentlichen Adressaten Mohammeds waren. Vertraut mit den jüdischen Erzählungen von Moses, Noah und Abraham, werden sie mit genau diesen Figuren konfrontiert, die als Zeugen für die Wahrheit der Verkündigung Mohammeds im Mittelpunkt der mekkanischen Periode stehen. Hierbei zieht der Koran nicht allein eine Parallele zwischen Moses und Mohammed, sondern auch zwischen den gegen Mohammed agierenden Mekkanern und den Gegnern Mose, dem Pharao und seinen Anhängern. Wie der Pharao, der aufgrund der Befreiungsbotschaft Mose um seine Machtstellung in Ägypten fürchten muss, sehen auch das reiche Establishment Mekkas und die Stammesführer ihre Machtposition durch die Befreiungsbotschaft Mohammeds bedroht. Der frühmekkanische Koran selbst zieht diese Parallele, wenn er zu den aufsässigen Mekkanern spricht: „Siehe, wir sandten einen Gesandten zu euch aus als einen, der unter euch weilt, genauso wie auch zu Pharao. Doch Pharao war gegen den Gesandten widerspenstig. Da ergriffen wir ihn auf unheilvolle Weise. Wie wollt ihr nur, solange ihr Leugner seid, euch vor einem Tage hüten, der Kinder zu Greisen macht? … Siehe, das ist eine Mahnung. Und wer will, der nehme einen Weg zu seinem Herrn!“ (Q 73:15–19) Die Berufung auf Moses will die Mekkaner nicht nur vor einer ähnlichen Strafe warnen, sondern ihnen auch vermitteln: Mohammed verkündet wie vor ihm Moses im Auftrag Gottes; Mohammed steht also in der monotheistischen Tradition des Juden- und Christentums und somit in einer Kontinuität prophetischer Verkündigung; den Gegnern Mohammeds droht eine ähnliche vernichtende göttliche Strafe wie dem Pharao und seinen Anhängern.

In den Moses-Erzählungen der mittelmekkanischen Periode hebt der Koran den Aspekt der Befreiung der Israeliten vom brutalen Pharao immer stärker hervor, um so den Anhängern Mohammeds Trost zu schenken, aber auch die Hoffnung, dass Mohammed sie von der Unterdrückung der Mekkaner befreien werde.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in den Moses-Erzählungen im Koran die Gottesvorstellung des Alten Testaments und der späteren jüdischen Tradition und Liturgie ihren Widerhall als Teil von Mohammeds Verkündigung finden. Diese starke Anlehnung an das Judentum dient in der mekkanischen Phase als wichtiges Zeugnis für die Wahrheit der Verkündigung Mohammeds gegenüber den Mekkanern. Ähnlich wie bei den Erzählungen über Noah stellt der Koran auch bei den Moses-Erzählungen eine Parallele zwischen den Feinden Mose und denen Mohammeds her. Beide Propheten wurden verspottet und verfolgt, aber so wie Moses und seine Anhänger können auch Mohammed und seine Anhänger mit einem ähnlichen Ausgang der Geschichte rechnen.

Auch in der spätmekkanischen Phase des Korans spielen die Auseinandersetzungen zwischen Moses und dem Pharao sowie die Befreiung der Israeliten eine wichtige Rolle, um die Anhänger Mohammeds auf die Auswanderung nach Medina, die als eine Art Befreiung vorzubereiten.

In Medina bildete sich letztendlich eine eigene Gemeinde Mohammeds, die sich weiterhin in der monotheistischen Tradition sah, allerdings eine eigene politische Identität besaß: die Gemeinde der Muslime. Daher kann man Mohammed nicht als Jude bezeichnen und dennoch ihn zu der monotheistischen Tradition des Judentums zählen.

Prof. Dr. Mouhanad Khorchide

Zentrum für Islamische Theologie

Weitere Infos

„Umdenken! Wie Islam und Judentum unsere Gesellschaft besser machen“. Autoren: Mouhanad Khorchide und Rabbiner Walter Homolka. Verlag Herder April 2021. 

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