Warum gibt es so viele verschiedene Sprachen auf der Welt?

Sprachen werden nicht absichtlich erfunden – sie entstehen auf natürliche Weise, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Die meisten europäischen Sprachen wie Deutsch, Polnisch und Griechisch (aber nicht Ungarisch) und viele Sprachen des Iran und Indiens stammen aus der Proto-Indogermanischen Ursprache, die vor etwa 7.000 Jahren nördlich des Schwarzen Meeres gesprochen wurde. Natürlich sind Sprachen, die in anderen Gemeinschaften entfernt und unabhängig voneinander entstanden sind, sehr unterschiedlich. Zum Beispiel sind Deutsch und Indonesisch nicht verwandt und sehr unähnlich, da Indonesisch aus der Proto-Austronesischen Ursprache stammt, die wahrscheinlich vor etwa 6.000 Jahren auf Taiwan gesprochen wurde.

Sprachen verändern sich langsam die ganze Zeit über und nach tausenden Jahren haben sich die Ursprachen enorm verändert. Die ursprünglich kleinen Gruppen von Menschen, die sie sprachen, wurden immer größer. Sie spalteten sich in viele weitere Gruppen auf. In jeder Gruppe haben die Menschen meistens miteinander gesprochen, aber nicht mit Leuten aus anderen Gruppen, und in jeder Gruppe änderte sich die Sprache anders und entwickelte sich schließlich zu einer neuen, unterschiedlichen Sprache. Die Proto-Indogermanische Sprache spaltete sich in Altgriechisch, Latein, Altgermanisch und andere Sprachen auf. Jede Gemeinschaft wuchs weiter und teilte sich in kleinere Gruppen auf. Und wieder hatte jede Gruppe ihre eigene Sprachänderungen, die zu verschiedenen Sprachen führten. Zum Beispiel ist aus Altgermanisch dann Deutsch, Niederländisch, Englisch, Friesisch und Isländisch geworden.

So entstehen mehrere Sprachen auf der Welt: Wenn Menschen eine separate Gruppe bilden, entwickelt sich dort mit der Zeit eine eigene Sprache. Dementsprechend könnten wir erwarten, dass sich durch das Bevölkerungswachstum immer mehr Sprachen entwickeln würden. Tatsächlich gibt es Gebiete wie Papua-Neuguinea und Nordostindien, wo jede Gemeinschaft aus ein paar Dörfern eine eigene Sprache spricht. In einer ähnlichen Situation hätten wir Tausende Sprachen in Deutschland. Warum ist dies dann nicht der Fall? Die Menschen in Hamburg und München sprechen nicht täglich miteinander – wieso entwickeln sich ihre Sprachen nicht anders und spalten sich nicht auf? Die Frage kann dann auch umgekehrt gestellt werden: Warum gibt es so WENIGE Sprachen auf der Welt?

Die Antwort liegt in großen Staaten mit einer Zentralregierung und einfacher Mobilität zwischen verschiedenen Orten. In dieser Situation hören Menschen an verschiedenen Orten auf, ihre eigene Sprache zu sprechen, und wechseln zu einer anderen, dominanten Sprache. Zum Beispiel hat Deutschland viel von seiner ursprünglichen sprachlichen Vielfalt verloren, da Sprecher*innen verschiedener „Dialekte“ wie Plattdeutsch oder der Friesischen Sprachen zum Hochdeutsch gewechselt sind. Nur in kleinen Gemeinschaften, auf Inseln oder in den Bergen, sind die eigenen Sprachen noch erhalten.

Schauen Sie sich die Karte von Myanmar, einem großen Staat Südostasiens, an. Sie können das zentrale Tal mit den riesigen Flüssen Irrawaddy und Chindwin in der Mitte der Karte sehen. Dasselbe Gebiet ist auf der Sprachkarte hellgrün (Bild 1) bzw. gelb (Bild 2) dargestellt – das ist Burmesisch, seit 1.000 Jahren die Amtssprache der Regierung. Die Bevölkerung, die in diesem flachen und leicht befahrbaren Talgebiet lebt (Bild 1, 2, 3), wurde von den größeren Städten stark beeinflusst. Sie hat ihre verschiedenen Sprachen verloren und spricht stattdessen Burmesisch (die gelbe Farbe in Bild 2). In den Bergen oberhalb des Tals lebten die Menschen weiterhin isoliert (Bild 4) und bewahrten hunderte ursprüngliche Sprachen (die anderen Farben in Bild 2 sind Gruppen von vielen verwandten, aber unterschiedlichen Sprachen).

Überall auf der Welt verschwinden Sprachen täglich aufgrund der Ausbreitung größerer Hauptsprachen. Sprachwissenschaftler*innen befürchten, dass 50–90 % der 7.000 weltweit gesprochenen Sprachen bis zum Ende dieses Jahrhunderts verschwinden werden. Sie versuchen, die Gruppen, die bedrohte Sprachen sprechen, zu unterstützen, deren Sprachen zu dokumentieren und ihren Erhalt für zukünftige Generationen sicherzustellen.

Bild 1: Landkarte von Myanmar  (Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c1/Irrawaddyrivermap.jpg) 

Bild 2: Sprachkarte von Myanmar (Quelle: http://www.themimu.info/)

Bild 3: Felder und ein Dorf im Irrawaddy-Tal (Foto: Pavel Ozerov) 

Bild 4: Ein Dorf des Anal-Naga Volk, Indobirmanische Grenze (Foto: Pavel Ozerov) 

Jun.-Prof. Dr. Pavel Ozerov

Institut für Sprachwissenschaft

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