Warum sind Jungensachen blau und Mädchensachen rosa?

Das ist eine gute Frage und alle guten Fragen verweisen auf komplexe Verhältnisse und Geschichten. Hier sind verschiedene Aspekte wichtig: die Geschichte der Vorstellung von Kindheit und Elternschaft, die Kulturgeschichte der Kleidung und der Farben, die Textiltechnologie und die Textilwirtschaft, die Geschlechter- und Gesellschaftsgeschichte, die Konsumforschung und etliches mehr, was in diesem Rahmen natürlich nur angedeutet werden kann.

Aus dieser Frage ergeben sich weitere Fragen, die bei der Beantwortung eine Rolle spielen, und zwar: Haben Farben feste Bedeutungen? Haben Farben ein Geschlecht? Ist Rosa weiblich und Blau männlich? Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Literatur sind alle diese Fragen mit „Nein“ zu beantworten. Farben haben also kein Geschlecht – sie können aber offenbar Geschlechter kennzeichnen, wenn eine Gesellschaft eine solche Markierung verlangt.  In den letzten hundert Jahren haben sich für die Markierung der zwei Geschlechter „männlich“ und „weiblich“ bei Kindern die zwei Farben Rosa und Blau bzw. Hellblau durchgesetzt. Dass die Wahl auf diese beiden Farben fiel, dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass sie schon davor im 19. Jahrhundert eine Rolle in der Mode für Heranwachsende spielten, ohne für ein Geschlecht reserviert zu sein.

Die Farbzuordnung war also zunächst nicht eindeutig, sondern die Farben wurden mit mehr oder weniger plausiblen Begründungen mal dem einen, mal dem anderen Geschlecht zugeschrieben. Daran beteiligt waren vor allem die Werbung, Publikumszeitschriften und Elternratgeber. Die Hersteller von Kinderkleidung und anderen Produkten rund um die Kinderwelt übernahmen und unterstützen die neue Farbordnung.

Jungs tragen also Blau und Mädchen Rosa, weil die Bekleidungsindustrie – wann ganz genau, ist nicht klar erforscht – anfing, diese als geschlechtermarkierende Farben in die Bekleidungsproduktion einzuführen.  Eltern/Großeltern/Verwandte haben (mit mehr oder weniger Beteiligung der Kinder) diese Kleidung gekauft und den Kindern anzogen. Aber auch die Kinderartikel, die in Handarbeit selbst hergestellt wurden (z.B. selbst genähte Kleider), folgten diesem Farbtrend. Eine gewisse Rolle spielen auch die ganzen Papierprodukte, mit denen Geburt und Taufe etc. angekündigt werden und die die entsprechende Farbdekors verwendeten und durchsetzen halfen.

Kleidungshistorikerinnen weisen darauf hin, dass es sich dabei um kulturelle Farbcodes europäisch-amerikanischer Prägung handelt, die dominant wahrgenommen und tradiert werden. Allerdings gab es daneben immer auch eine große Anzahl weiterer Farben und Muster in der Kinderkleidung. Nicht zuletzt spielte (auch aus praktischen Gründen) gerade bei der Säuglingsausstattung lange die Farbe Weiß eine große Rolle.

Diese Zweigeschlechtlichkeit heutiger Farbwelten für Kinderprodukte wird immer wieder stark kritisiert. Insbesondere, da seit gut 20 Jahren durch das sogenannte Gendermarketing von Seiten der Konsumgüterindustrie sehr stark versucht wird, getrennte Farb- und Produktwelten für Mädchen und Jungen zu bewerben und zu verkaufen. Es geht dabei darum, trotz der schrumpfenden Zielgruppe (es gibt immer weniger Kinder), den Konsum und damit den Umsatz zu steigern. Die Kritik daran scheint erfolgreich, denn im Moment schwächt sich diese Codierung aus unterschiedlichen Gründen ab. Die Farben werden diverser, Kleidung wird nachhaltiger und das wird sie vor allem durch die Möglichkeit, vielfach von anderen Kindern weiter getragen zu werden. Der aktuelle Farbtrend in der Kinderkleidung geht in Richtung Bunt.

Zusammengefasst kann man also festhalten, dass es sich bei der Zuordnung der Farben Blau für Jungenkleidung und Rosa für Mädchenkleidung um eine vor 100 Jahren erfundene Tradition handelt, die sich erstaunlich lange hält.

Prof. Dr. Lioba Keller-Drescher

Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie

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