Diese Frage ist sehr gut – und aus mindestens zwei Gründen auch sehr aktuell: Die Klimakrise und die Alterung der Gesellschaft stellen in Frage, ob es in Zukunft noch Wirtschaftswachstum geben kann.
Bevor ich die Frage beantworte, will ich kurz erklären, was Wirtschaftswachstum eigentlich ist. Wenn die Wirtschaft eines Landes wächst, steigt die Menge aller produzierten Waren und bereitgestellten Dienstleistungen – das sogenannte Bruttoinlandsprodukt (BIP). In Deutschland ist das BIP im Jahr 2019 um 1,1 Prozent gestiegen, im Jahr 2020 coronabedingt um 4,6 Prozent gesunken. Dieser Rückgang des BIP geht darauf zurück, dass Produktionskapazitäten aufgrund von Lockdown-Maßnahmen, Kontaktbeschränkungen etc. nicht ausgelastet werden konnten.
Die Wirtschaftswissenschaften interessieren sich unter anderem für die Frage, wieviel eine Wirtschaft in der Lage ist zu produzieren, wenn die Produktionskapazitäten einer Ökonomie normal ausgelastet sind. Daher werden Schwankungen im Auslastungsgrad der Kapazitäten, wie z.B. während einer Pandemie, herausgerechnet. Wirtschaftswachstum im engeren Sinne ist also ein Anstieg der Produktion bei Normalauslastung der Kapazitäten.
In den 10 Jahren vor der Pandemie betrug die Wachstumsrate des BIP in Deutschland durchschnittlich etwas weniger als 2 Prozent. Das ist nicht viel, Deutschland gehört damit in Europa zu den wachstumsschwächeren Staaten. Immerhin ist die Produktion jedoch in diesem Zeitraum um etwas mehr als 20 Prozent gestiegen. Von Allem ist also etwa ein Fünftel mehr da, das wir konsumieren oder im Ausland gegen andere Güter tauschen können.
Woher kommt dieser Anstieg? Wie entsteht Wirtschaftswachstum? Alles, was wir produzieren, gewinnen wir letztlich aus unserer eigenen Arbeitskraft und aus natürlichen Ressourcen (wie Luft, Wasser, Erde, Kohle, Öl etc.). Mit diesen Mitteln werden Güter produziert, die sowohl als sogenannte Zwischengüter in der Produktion eingesetzt werden als auch für den Konsum verwendet werden.
Wachstum entsteht nun auf drei verschiedene Arten. Erstens, wir steigern die menschliche Arbeitskraft (durch Bevölkerungswachstum, durch eine höhere Erwerbsquote in der bestehenden Bevölkerung und durch längere Arbeitszeiten für die Beschäftigten) und den Ressourcenverbrauch. Diese Quelle des Wachstums droht nun zu versiegen. Die natürlichen Ressourcen gehen zur Neige und insbesondere unsere Umwelt (und dort vor allem die Atmosphäre) ist schon jetzt in kritischem Zustand und verträgt kaum noch Mehrbelastung. Gleichzeitig ist die Geburtenrate so stark gesunken, dass viele europäische Länder nur mit Zuwanderung ihre Bevölkerungszahl (und damit auch ihre Arbeitskraft) konstant halten können.
Eine zweite Quelle des Wachstums entsteht durch eine Ausweitung des Gebrauchs von Zwischengütern, die in der Produktion eingesetzt werden. Insbesondere Maschinen verstärken unsere Arbeitskraft. Früher hat der Bauer den Pflug selbst gezogen, heute macht das der Traktor – so schafft der Bauer ein Zigfaches der Fläche. Auch diese Quelle ist jedoch begrenzt. Zum einen belastet auch die Produktion von Zwischengütern Klima und Umwelt, zum anderen lässt sich der Einsatz von Maschinen pro Arbeitskraft nicht unendlich steigern. Ein Bauer kann eben nur einen Mähdrescher fahren.
Die dritte Quelle wird technologischer Fortschritt genannt. Das heißt vor allem, dass wir bessere und leistungsfähigere Maschinen bauen, unsere Arbeitsorganisation verbessern und mit Hilfe besserer Produktionsverfahren weniger Ressourcenverbrauch pro Endprodukt erreichen. Schon bald könnte es möglich sein, dass der Mähdrescher sich selbst steuert und der Bauer in der Zwischenzeit andere Dinge erledigt. Auf dieser Quelle ruhen die Hoffnungen all derjenigen, die sich auch in Zukunft Wachstum erhoffen. Leider hat sich auch die Zuwachsrate des technologischen Fortschritts in den letzten Jahrzehnten reduziert.
Nun komme ich endlich auf die oben gestellte Frage zurück. Ist es ein Problem, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst oder sogar schrumpft? Anders als oft behauptet wird, ist Wachstum keine notwendige Voraussetzung für das Funktionieren einer Marktwirtschaft. Es gibt keinen Grund, warum ein schrumpfender Markt nicht genauso gut funktionieren sollte wie ein wachsender Markt. Natürlich gibt es in einer schrumpfenden Wirtschaft regelmäßig Insolvenzen auch etablierter Unternehmen, aber es gehört ja zu den Marktfunktionen, dass Überkapazitäten (die in einer schrumpfenden Ökonomie ja ein stetig wiederkehrendes Phänomen sind) abgebaut werden. Einige Preise werden stark steigen (wie sich ja schon jetzt an den Kosten für Strom und Gas zeigt und, perspektivisch, in der Entlohnung für Pflege- und andere Fachkräfte), andere werden sinken (insbesondere die von Gütern, die weder auf starke Umweltnutzung noch auf Arbeitskraft angewiesen sind). Die Grundfunktion von Märkten, Produktions- und Konsumentscheidungen zu koordinieren und damit Angebot und Nachfrage zusammenzubringen, wird dadurch aber nicht eingeschränkt.
Das Problem ist also kein technisch-ökonomisches, sondern ein politisches – aus mindestens drei Gründen.
Erstens wird es schwierig sein, die Menschen von der Erwartung abzubringen, dass die Einkommen immer weiter steigen. In den vergangenen 150 Jahren hat sich der Lebensstandard der allermeisten Menschen auf der Welt, insbesondere aber in Europa, auf unglaubliche Weise gesteigert. Daraus ist die frohe Erwartung erwachsen, dass es jeder nachfolgenden Generation einmal (noch) besser gehen würde als der aktuellen. Wir müssen uns nun daran gewöhnen, dass dies nicht mehr der Fall sein wird. Es ist unklar, wie die Menschen darauf reagieren werden. Sorge sollte uns bereiten, dass wir in Regionen mit stagnierender oder schrumpfender Wirtschaft (im Norden Englands, im amerikanischen Rustbelt, in Ostdeutschland) beobachten konnten, dass sich die Menschen radikalen bzw. populistischen Parteien zugewendet haben (Trump, Brexit, AfD).
Zweitens wird sich eine schrumpfende Wirtschaft nicht auf alle Menschen gleich auswirken. Einige werden stärkere Einkommenseinbußen hinnehmen müssen als andere. Jedem Gewinn wird ein größerer Verlust gegenüberstehen. Das kann soziale Spannungen erzeugen. Durch knapper werdende Ressourcen verteuern sich einige Güter, an die wir uns gewöhnt haben. So könnte z.B. das Autofahren erheblich teurer werden. Weil vorausschauende Politik hier die Preise anpassen muss, bevor Engpässe zu abrupten Preissprüngen führen, gibt es die Gefahr, dass sich der Unmut der Menschen gegen ihre Regierung richtet – wie wir an den Gelbwesten-Protesten in Frankreich gegen hohe Dieselpreise sehen konnten.
Drittens entsteht ein großes Problem in den sozialen Sicherungssystemen, insbesondere in der Renten- und Pflegeversicherung. Beide Systeme sind auf eine wachsende Wirtschaft ausgelegt, in der die jeweilige arbeitende Bevölkerung immer größer wird und mehr erwirtschaftet und damit problemlos die relativ kleiner werdende Gruppe der Alten mit ihren relativ konstant bleibenden Rentenansprüchen finanzieren kann. Mittlerweile wächst die Gruppe der Renten- und Pensionsbezieher relativ zur Gruppe der Erwerbstätigen. Das bedeutet, dass die Finanzierungslast für die Erwerbstätigen steigen muss und/oder die Renten und Pensionen sinken müssen. Deutschland kann über eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen, Zuwanderung und eine höheres Ruhestandsalter diesen Prozess etwas abmildern. Die kann die Politik aber nicht davor bewahren, sich diesem Problem stellen zu müssen. Dabei hat sie nur die Wahl zwischen extrem unpopulären Maßnahmen.
Ich kann meine Antwort also wie folgt zusammenfassen: Eine schrumpfende Wirtschaft stellt nicht unser Marktsystem, sondern unsere Gesellschaft und unsere Demokratie vor große Herausforderungen. Der Umgang unserer Gesellschaft mit der Bedrohung einer globalen Pandemie und insbesondere die wachsende Staatsfeindlichkeit in den Reihen der Impfgegner und Querdenker, stimmen mich nicht gerade optimistisch angesichts der deutlich größeren Herausforderungen durch die Klimakrise und die Alterung der Gesellschaft.