Wer hat sich all die Wörter ausgedacht?

Menschliche Sprache ist eine Fähigkeit, die der Mensch in seiner Entstehungsgeschichte entwickelt hat und die ihn von allen anderen Tieren auf dem Planeten unter­scheidet. Der Zeitpunkt, an dem Menschen die ersten Wörter gesprochen haben, ist sehr, sehr lange her (bis zu 125.000 Jahre). Man kann ihn nur schätzen, denn anders als Steinwerkzeuge hinterlässt Sprache über viele Jahrtausende keine direkten Spuren. Das ändert sich zwar mit den ersten Schriften ab dem 4. Jahrtausend vor Christus. Zu dieser Zeit gab es aber schon über 6.000 Sprachen auf der Welt, die komplexe Sprachsysteme mit großen Wortschätzen entwickelt hatten. Deshalb bleibt wohl für immer ungeklärt, wie es zu den allerersten Wörtern kam und welche Art Wörter das waren.

Aus dem Vergleich mit verwandten Sprachen (wie Russisch, Griechisch und viele andere) kann man schließen, dass Wörter im Grundwortschatz des Deutschen wie essen, schlafen, Hand, Mutter, Vater, Wasser etc. schon seit einigen Jahrtausenden von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie reichen also weit in die Vorstufen zurück, die Deutsch mit seinen verwandten Sprachen teilt.

Am heutigen Deutsch kann man jedoch genau beobachten und beschreiben, wie Wörter zusammengesetzt sind und wie neue Wörter in den Wortschatz kommen. An dieser Erweiterung des Wortschatzes sind alle beteiligt, die eine Sprache sprechen. Das geschieht vor allem über zwei Wege: 1. neue Wörter aus Wortbausteinen bilden (Wortbildung) und 2. neue Wörter aus anderen Sprachen aufnehmen (Entlehnung).

1. Neue Wörter durch Wortbildung:
Ein Teil unseres Sprachwissens ist die Fähigkeit, mit vorhandenen Bauelementen neue Wörter zu bilden. Das nennt man Wortbildung. Dabei können mehrere selbstständige Wortteile zu einem neuen Wort zusammengesetzt werden. Das tun Sprecherinnen und Sprecher des Deutschen sehr häufig. So sind diese Beispiele entstanden:

Außerdem kann man vorhandene Wörter aber auch mit unselbstständigen Elementen erweitern. So sind zum Beispiel Finder und Finderin entstanden:

Viele Wörter im Deutschen werden mit beiden Möglichkeiten im Zusammenspiel gebaut, so z.B. auch Wortfindungsstörung: Wort + finden + stören + ung. Eine besonders kreative Form, neue Wörter zu bilden, sind Kurzwörter wie BAFöG und Studi. Hier werden Teile weggelassen (BAFöG = Bundesausbildungsförderungsgesetz, Studi = Studierender). Daneben gibt es auch Kofferwörter wie jein und Covidiot, bei denen mehrere Wörter zu einem verschmolzen werden.

2. Neue Wörter durch Entlehnung:
Sehr viele Wörter im Wortschatz des Deutschen wurden aus anderen Sprachen aufgenommen. Wenn das schon lange her ist, sieht man ihnen das gar nicht mehr an. TischMauer und Becher kommen zum Beispiel aus den lateinischen Wörtern discusmurus und bicarium. Sie haben so viel Lautwandel durchlaufen, dass sich ihre Form nicht von anderen deutschen Wörtern unterscheidet. Später wurden viele Wörter aus dem Französischen (z.B. spazierenDamePortemonnaie, Mode etc.), aus dem Italienischen (KontoBankPiano etc.) und aus dem Englischen aufgenommen. Die neuen Wörter werden meist schnell in die Grammatik des Deutschen eingebunden. So geben Substantive wie Computer ihren englischen s-Plural auf und nehmen im Deutschen ein grammatisches Geschlecht (Genus) an, das es im Englischen nicht gibt (im Fall von der Computer das Maskulinum). Auch Verben wie zoomen und faken passen sich schnell an, und wenn man googelt, findet man auch neue, ursprünglich englische Adjektive mit deutschen Endungen wie freshe Kinofilme und okaye Zimmereinrichtungen.

Eine letzte, sehr selten genutzte Möglichkeit, neue Wörter in den Wortschatz einzubauen, nennt man Urschöpfung. Hier werden Wörter in ihrer Form und Bedeutung völlig neu erfunden, z.B. lautmalende Wörter für ein neues Geräusch oder Namen für neue Produkte oder Fantasiewesen.

Wie werden nun diese Wörter weitergegeben?
Babys lernen neue Wörter ganz schnell und selbstverständlich, indem sie beobachten, wie und wofür ihr Umfeld die Wörter verwendet. Auf diese Weise werden bestehende Wörter sicher weitergegeben. Kleinkinder erkennen auch sehr schnell, wie Wortbildung funktioniert und wenden sie an, wenn sie z.B. auf einen rauchenden Schornstein deuten und Dampfer sagen. Wenn Erwachsene eine Fremdsprache lernen, müssen sie sich dagegen mühsam Wörter als Vokabeln einprägen. Jede Generation von Menschen fügt mit den beiden Verfahren Wortbildung und Entlehnung dem Wortschatz neue Wörter für Dinge hinzu, die ihnen so wichtig sind, dass sie eine Bezeichnung brauchen. So gehen Wörter, die viele Leute nützlich finden und gebrauchen, in den Kernwortschatz ein. Andere Wörter (wie Steno und vielleicht bald Fax) werden nicht mehr gebraucht. Alle, die eine Sprache sprechen, teilen einen gemeinsamen Kernbestand an Wörtern. Wir alle kennen aber auch Wörter, die typisch für unsere Region sind, oder Fachwörter unserer Berufe, die andere Sprecherinnen und Sprecher des Deutschen nicht ohne weiteres verstehen.

Veränderungen unserer Lebenswelt führen dazu, dass neue Bezeichnungen benötigt werden, und sich dann auch im Wortschatz finden. So wurden in der Corona-Pandemie viele neue Wörter für neue Situationen und Sachverhalte gebildet, z.B. Coronaparty, und viele von uns haben medizinische Fachbegriffe wie Herdenimmunität neu in ihren Wortschatz aufgenommen, die sie vorher gar nicht kannten (hier gibt es eine Bestandsaufnahme: https://www.dwds.de/themenglossar/Corona).
 

Ein tolles Museum für Menschen mit der Frage in der Überschrift ist übrigens das Wortreich in Bad Hersfeld. Als ein Buch mit spannenden Wortgeschichten empfehle ich Das kleine Etymologicum von Kristin Kopf.

Prof. Antje Dammel

Germanistisches Institut

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