Grundsätzlich entstehen neue Tierarten, indem sich im Laufe der Zeit eine Ausgangsart (die Stammart) in zwei neue Arten aufspaltet (die Tochterarten). Dazu ist es zunächst einmal notwendig, dass sich die Tiere der Stammart in zwei getrennte Gruppen aufteilen. Wichtig ist, dass die Mitglieder der einen Gruppe mit den Mitgliedern der anderen Gruppe keine Nachkommen erzeugen können. So etwas kann zum Beispiel dann passieren, wenn im Lebensraum einer Tierart ein neues Hindernis entsteht, das die Tiere nicht überwinden können. Man sagt dann, dass die beiden Gruppen geographisch isoliert sind. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Stück Land durch einen steigenden Meeresspiegel plötzlich zu zwei getrennten Inseln wird, zwischen denen nun Meer liegt. Das Meer zwischen den beiden Inseln ist jetzt ein Hindernis, das die meisten Landtiere nicht überwinden können. Die Tiere der beiden Gruppen (man nennt solche getrennten Gruppen Populationen) können sich dann zwar mit den anderen Mitgliedern ihrer eigenen Population fortpflanzen, aber nicht mehr mit den Mitgliedern der anderen Population.
Ab diesem Zeitpunkt kann die Veränderung der biologischen Merkmale von Generation zu Generation (Evolution) bei den beiden Gruppen auf ihren Inseln jeweils unterschiedlich ablaufen. Was auch immer an evolutiven Veränderungen in der einen Population passiert, hat keine Auswirkungen auf die andere. Das heißt zum Beispiel: Ein vorteilhaftes Merkmal, das durch eine Veränderung des Erbguts (Mutation) in einer der beiden Populationen neu auftritt, kann sich in dieser Population durchsetzen – es gelangt aber nicht in die andere Gruppe. Hinzu kommt, dass die Umweltbedingungen auf den beiden Seiten des Hindernisses wahrscheinlich nicht genau gleich sind (z.B. es auf den beiden Inseln ein anderes Klima, andere Nahrung, andere Feinde, andere Krankheiten usw. gibt). Dadurch passen sich die beiden Gruppen in unterschiedlicher Weise an die Bedingungen auf ihrer jeweiligen Seite des Hindernisses an. So werden die beiden Gruppen im Laufe der Zeit immer unterschiedlicher.
Irgendwann haben sich die beiden Gruppen dann so weit auseinander entwickelt, dass sich die Mitglieder der verschiedenen Gruppen auch dann nicht mehr miteinander fortpflanzen können, wenn das Hindernis wieder verschwindet (zum Beispiel durch einen fallenden Meeresspiegel). Aus der Stammart haben sich zwei neue Tochterarten entwickelt. Die oben beschriebene Entstehung von neuen Tierarten durch geographische Isolation ist der Mechanismus der Artbildung, der am einfachsten nachzuvollziehen ist und wahrscheinlich auch am häufigsten vorkommt.
Es sind aber auch viele Beispiele bekannt, wo sich im selben Lebensraum aus einer Stammart neue Tochterarten entwickelt haben. Auch hier ist es zunächst notwendig, dass sich die Ausgangspopulation in zwei Tochterpopulationen spaltet, die sich nicht miteinander fortpflanzen. Mögliche Gründe für eine solche Trennung im gleichen Lebensraum können zum Beispiel unterschiedliche Verhaltensweisen, unterschiedliche Fortpflanzungszeiten oder unterschiedliche Vorlieben für Paarungsorte sein. Wenn zum Beispiel die eine Hälfte der Fische einer bestimmten Art nur im Mai fortpflanzungsbereit ist, die andere Hälfte aber erst im Juli, dann werden sich diese beiden Gruppen nicht miteinander fortpflanzen und es können aus ihnen zwei Arten werden – selbst wenn sie im gleichen See leben.