Wie viele Tiere gibt es?

Wie viele Tiere gibt es? Wie viele sind bisher noch unentdeckt? Ist so etwas schÀtzbar? Wie kommt so eine SchÀtzung zu Stande?

Wenn ich die Frage richtig verstehe, geht es darum, wie viele Tierarten es gibt und nicht wie viele Individuen existieren.

Bislang wissenschaftlich beschrieben sind ca. 1,75 Millionen Arten von Lebewesen, darunter etwa 1,2 Millionen Tierarten. Aber diese Zahlen sind bereits SchĂ€tzungen, da es bislang kein zentrales Register fĂŒr alle beschriebenen Arten gibt. Zudem ist auch nicht klar, wie viele der bislang beschriebenen Arten versehentlich doppelt oder dreifach beschrieben wurden.

Richtig schwierig wird es dann bei der Frage, wie viele Arten denn noch unentdeckt sind. Dazu mĂŒssen wir uns erst einmal anschauen, wie neue Arten ĂŒberhaupt entdeckt werden. Hier gibt es nĂ€mlich im wesentlichen zwei Möglichkeiten: Zum einen entdecken Forscher*innen tatsĂ€chlich tĂ€glich Lebewesen, die noch nie zuvor wissenschaftlich erfasst wurden. So etwas geschieht vor allem in schwer zugĂ€nglichen oder unĂŒbersichtlichen LebensrĂ€umen wie der Tiefsee oder dem Regenwald.

Eine mindestens genauso wichtige Möglichkeit, neue Arten zu entdecken, besteht aber in der Erkenntnis, dass das, was man zuvor fĂŒr eine Art gehalten hat, eigentlich mehrere Arten sind. In dieser Hinsicht haben die modernen DNA-Untersuchungsmethoden viel Bewegung in die Systematik der Lebewesen gebracht, denn nun ist es möglich, auch bei solchen Organismengruppen, die sich Ă€ußerlich sehr Ă€hnlich sind (zum Beispiel alles was wir „WĂŒrmer“ nennen) festzustellen, ob sie eine zusammenhĂ€ngende Art darstellen oder ob es sich um getrennte Einheiten und somit Arten handelt. So ging man lange davon aus, dass alle Giraffen zur gleichen Art, Giraffa camelopardalis, gehören. Mittlerweile geht man auf Grund genetischer Untersuchungen aber davon aus, dass die Giraffen mindestens drei verschiedenen Arten umfassen. Diese Tiere waren also vorher gar nicht unbekannt, es war nur unbekannt, dass sie verschiedene Arten dartstellen.

Insgesamt werden zur Zeit jedes Jahr zwischen 10.000 und 20.000 neue Arten wissenschaftlich beschrieben. Wie viele (Tier-)Arten es denn auf der Welt tatsĂ€chlich gibt, hĂ€ngt aber nicht nur von der Entdeckung neuer Arten ab, sondern auch davon, was Wissenschafler*innen ĂŒberhaupt als eine Art ansehen. Denn in der Frage, wann wir eine Gruppe von Lebewesen als eine eigene Art beschreiben, herrscht innerhalb der Wissenschaft keineswegs Einigkeit. So gibt es Expert*innen, die eine bislang als eine Art beschriebene Gruppe von Populationen in viele einzelne Arten aufspalten (die sogenannten „Splitter“), wĂ€hrend andere Expert*innen bislang als verschiedene Arten angesehene Populationen nun zu einer Art zusammen fassen wollen (die sogenannten „Lumper“).

Erschwerend kommt hinzu, dass bislang keine Definition existiert, was denn ĂŒberhaupt eine Art ist, welche fĂŒr alle Organismengruppen und alle Fragestellungen funktioniert und es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass eine solche allgemeingĂŒltige Definition ĂŒberhaupt möglich ist. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass die SchĂ€tzungen der verschiedenen Expert*innen zu weltweiten Artenzahlen weit auseinander liegen. Die meisten SchĂ€tzungen liegen in einem Bereich von einigen Millionen bis zu etwa 20 Millionen Arten insgesamt, von denen die mit Abstand meisten Arten zu den Tieren gehören sollen. Es gibt aber auch deutlich höher liegende SchĂ€tzungen, die von bis zu 120 Millionen Arten ausgehen. Wie kommt man ĂŒberhaupt zu solchen SchĂ€tzungen? Ein hĂ€ufiger Ansatz besteht darin, die Artenzahlen in einem kleinen Lebensraum möglichst genau zu erfassen und das Ergebnis dann auf einen globalen Maßstab hochzurechnen. Eine Untersuchung hat zum Beispiel ermittelt, dass in Großbritannien 67 Tagschmetterlinge und 22.000 andere Insekten leben. Da es weltweit mehr als 15.000 Tagschmetterlinge gibt, wĂŒrde das (ein gleiches VerhĂ€ltnis voraus gesetzt) eine Menge von ĂŒber 5 Millionen Insektenarten weltweit bedeuten. Die Genauigkeit solcher SchĂ€tzungen ist naturgemĂ€ĂŸ sehr gering und bislang hat jede Studie zu diesem Thema innerhalb der wissenschaftlichen Community heftige Kritik ausgelöst.

Nach meinem Eindruck ist die Anzahl publizierter Hochrechnungen zur BiodiversitĂ€t nach einem „Boom“ in den 90er-Jahren zuletzt auch deutlich zurĂŒck gegangen. Möglicherweise mĂŒssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir eine genaue Artenzahl fĂŒr unseren Planeten niemals kennen werden.

Viel wichtiger ist die Frage, wie wir die rasante Zerstörung der LebenrÀume und das unwiederbringliche Verschwinden von Arten, ganz gleich ob bekannt oder unbekannt, aufhalten können.

Dr. Harald Kullmann

Institut fĂŒr Didaktik der Biologie

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