Muslime glauben an einen liebenden barmherzigen Gott, der es gut mit uns Menschen meint. Das heißt, Gott will, dass wir Corona loswerden. Allerdings handelt er so, dass er nicht unmittelbar in die Welt eingreift, um selbst Corona zu beseitigen, sondern er hat uns Menschen mit Intelligenz ausgestattet, damit wir die Lösung des Problems selbst finden. Gott verlässt sich auf unser verantwortungsvolles Handeln in der Welt. Das bedeutet, wenn wir uns an die Abstandsregeln und an die Maskenpflicht halten, wenn sich Ärzte um Kranke kümmern, wenn Wissenschaftler einen Impfstoff entwickeln, dann werden wir Corona besiegen. Gott beseitigt Corona also durch unser Handeln. Wir Menschen tragen die Verantwortung. Gott hat uns mit den dafür notwendigen Fähigkeiten ausgestattet. Nun könnte jemand fragen, warum Gott das so kompliziert macht und Corona nicht direkt beseitigt, ohne sich auf die Menschen zu verlassen. Das Problem dabei wäre, dass wenn Gott direkt und unmittelbar in die Welt eingreifen würde, die Freiheit und somit die Verantwortlichkeit des Menschen eingeschränkt würde. Gott würdigt die Freiheit des Menschen und da er diese unbedingt schützen will, greift er auf eine Art und Weise in die Welt ein, die unsere Freiheit nicht beeinträchtigt: Er greift durch uns ein, wenn wir uns zu diesem verantwortungsvollen Handeln frei entscheiden.
Zentrum für Islamische Theologie
F: Wieso macht Gott eigentlich nicht, dass Corona weggeht?
A: Weil Gott dafür nicht zuständig ist.
F: Aber er ist doch allmächtig.
A: Ja, Gott ist sehr mächtig, aber nicht alles liegt in seiner Macht. Es gibt Dinge, die einfach passieren, ohne dass Gott mitmischt. Für Erdbeben, Tropenstürme oder Überschwemmungen zum Beispiel ist Gott nicht verantwortlich. Es würde auch nichts bringen, wenn Gott zu den Viren sagen würde: „Du sollst dich nicht an Menschen andocken.“ Denn Viren, also auch die Coronaviren, sind keine Lebewesen. Sie können also nicht entscheiden, etwas zu tun oder zu lassen. Die Viren sind einfach da und treffen auf Menschen, die dann krank werden können.
F: Das ist mir alles viel zu kompliziert.
A: Ja, es klingt kompliziert, aber ist es vielleicht auch nicht. Biblisch gesehen will Gott in der Regel das Gute für die Menschen. Die Schöpfung beginnt mit der Entstehung des Lichtes, das für das Gute steht. Und der erste Schöpfungsbericht endet mit den Worten „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“. Dass die Welt aber nicht nur gut ist, brauche ich niemandem zu erklären. Aber der Anfang war auf jeden Fall gut. Und wir Menschen sollen nach diesem Ursprungszustand streben. Wenn Menschen so handeln, dass sie dem Willen Gottes nicht entsprechen, heißt dies Sünde. Das will Gott nicht, aber Menschen tun es.
Dann gibt es noch das Böse. Davon sprechen wir, wenn Menschen – oder in der Bibel manchmal auch Gott selbst – einander absichtlich Leid zufügen. Auch indirekt können Menschen einander oder späteren Generationen Leid zufügen, z.B. indem sie den Klimawandel befördern. Alles übrige Leid hat weder mit Menschen noch mit Gott zu tun. Es passiert einfach und ist einfach da – auch Covid-19.
In der Bibel gibt es noch einen ganz anderen Blick auf Gott und das Leid: Gott zeigt den Menschen, dass er mit ihnen mitleidet, dass er für sie da ist, selbst wenn alles ganz unerträglich ist.
Institutum Judaicum Delitzschianum
Die Frage kann ich gut verstehen. Dieses Virus kann einem schon mächtig auf den Geist gehen, das Leben ganz schön einschränken und uns Angst machen. Ehrlich gesagt: Das geht mir genauso!
Wenn wir aber genau hinschauen, hat sich in dieser Frage aber noch eine andere Frage versteckt, nämlich: Wie stellen wir uns Gott vor?
Ist Gott so etwas wie ein Herrscher, der in seinem Reich (die ganze Welt) die Dinge jederzeit ändern kann, die ihn stören oder die jemand anderes stören, der ihn darum bittet? In der christlichen Religion wird Gott tatsächlich oft „Herr“, „König“, sogar „Herrscher über das All“ genannt. Diese Namen für Gott kommen aus früheren Zeiten, als sich die Menschen Gott wie einen König oder Kaiser vorstellten – nur eben noch viel größer! Von so einem würden wir doch erwarten, dass er von uns alles Schlechte fernhält, vor allem wenn er sogar Macht über die Natur hätte, oder?
Heute lesen wir viele Texte in der Bibel anders als früher. Im Lied über die Schöpfung, in dem Gott die Welt in sieben Tagen erschafft (Genesis 1,1-2,4), zeigt sich, dass Gott die ganze Welt im Blick hat, auch wenn der Mensch als ein besonderes Lebewesen geschaffen wurde. Er ist deshalb aber noch nicht so etwas wie die „Krone der Schöpfung“! Das ist nämlich der Sabbat, der siebte Tag der Woche: Am Sabbat ruht die ganze Schöpfung: der Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, die ganze Welt, alles kann einfach so sein, wie es ist. Dazu gehört auch, was uns gefährlich werden kann: ein Raubtier, eine Giftpflanze – und ein gefährliches Virus. Gott schaut auf das große Ganze, in dem der Mensch ein Teil ist. Was für ein Wesen gut ist, ist für ein anderes oft nicht so gut.
Viele biblische Geschichten zeigen uns: Gott geht es nicht darum ein herrschender König zu sein! Wir glauben sogar, dass im Menschen Jesus aus Nazareth Gott in unserer Welt greifbar und ansprechbar wurde. Dieser Jesus hat sein eigenes Leid ertragen bis zu seinem schrecklichen Tod am Kreuz – ohne von irgendeiner Königsmacht Gebrauch zu machen und sein Leiden zu verhindern. Gott lässt der ganzen Welt ihren Raum, damit sie nach ihren eigenen Gesetzen funktionieren kann. Auch dem Menschen lässt er seinen Raum. Wir können frei entscheiden, ob wir Gutes tun oder Schlechtes – Gott lässt uns dazu die Freiheit. Er möchte das Gute, aber in unserer Welt erzwingt er es nicht.
Ich gebe zu: Eine Erklärung, warum es Leid gibt, ist das nicht. Einmal erwächst aus dem Leiden etwas Gutes – ein anderes Mal nicht. Manchmal ist das, was für den einen schlecht ist, für den anderen gut – manchmal ist es einfach für gar nichts gut. Das Leiden ist einfach da, es hat in sich keinen Sinn. Wir hätten gerne, dass es anders wäre, dass die Welt ohne Leid sein könnte oder dass Gott das Leid abschafft. Aber wir müssen aushalten, dass die Welt anders ist. Manchmal helfen uns Krankheit und Leid zu erkennen, was uns wirklich wichtig ist. Aber trotz allem wird es immer Leid geben.
Wenn wir jetzt wieder auf unsere Frage schauen, Sophie, dann ist aus der Frage nach Gottes Untätigkeit eine Frage nach unserem Leben geworden: Wie gehen wir mit dem Leiden im Leben um?
Die christliche Botschaft hat darauf zwei Antworten. Die erste trägt an vielen Stellen dazu bei, Leid zu verhindern, es gar nicht erst entstehen zu lassen. Und da, wo es sich nicht verhindern lässt, es gemeinsam auszuhalten, so gut es eben geht: die Liebe. Gott lässt uns im Leiden nicht allein, sondern steht uns bei. Diese Vorstellung kann Kraft geben – auch wenn selbst das manchmal nicht reicht, um mit dem Leid klarzukommen.
Die zweite Antwort reicht sogar noch weiter. Kennst Du Harry Potter? Im siebten Band findet Harry das Grab seiner Eltern. Auf ihrem Grabstein steht ein Satz aus der Bibel: „Der letzte Feind, der zerstört werden wird, ist der Tod.“ (1 Kor 15, 26). Harry leidet unter dem Tod seiner Eltern, denn in einer Hinsicht ist der Tod das schlimmste Leid: er raubt uns geliebte Menschen unwiderruflich. Der Satz stammt von Paulus – und der gibt die zweite Antwort: Wir glauben, dass das Leiden und der Tod nicht das letzte Wort haben werden, sondern dass die Liebe stärker ist als der Tod.
Wer es noch genauer wissen möchte, kann sich hier eine ausführlichere Fassung herunterladen.
Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik
Diese Frage kann ich gut nachvollziehen. Sie wird im Moment von vielen, ganz unterschiedlichen Menschen gestellt. Und daher möchte ich meine Antwort erst einmal in einer, oder besser gleich in mehreren Fragen formulieren. Wonach wird hier eigentlich gefragt? Geht es darum, darüber nachzudenken, wie wir uns Gott und sein Handeln vorstellen? Geht es darum, in Erfahrung zu bringen, wie sich Theologen Gottes Verhalten gegenüber der Welt erklären? Geht es darum, dass wir uns von Gott wünschen, dass er uns unser normales Leben zurückgibt, auf das wir nun schon so lange verzichten müssen?
Als Religionspädagogin höre ich zuallererst den Menschen, insbesondere den Kindern und Jugendlichen zu. Dabei habe ich zu meinem Erstaunen gemerkt, dass viele Kinder und Jugendliche eigentlich schon lange ihre eigenen Antworten gefunden haben. So hat eine Schülerin im ersten Lockdown gemeint, dass sie den Eindruck habe, Gott wolle uns indirekt sagen, dass wir durch die Art, in der wir leben, nicht nur mit der Natur, sondern auch mit uns selbst Raubbau treiben. In ihrer Antwort hörte sich das so an, dass Gott uns durch Corona zu verstehen geben will, dass wir eine Pause von uns selbst dringend nötig haben. Einer ihrer Mitschüler übersetzte das so: Vielleicht hat Corona auch etwas Gutes, dass wir das viele Fliegen und das fast ganz selbstverständliche Verreisen in Zukunft überdenken, indem wir uns fragen, ob es wirklich nicht anders geht als wir immer fernere Weltengegenden zu entdecken. Eine etwas ältere Schülerin meinte dazu, dass es kein Menschenrecht auf exotische Ferien geben kann.
Ob die drei das heute – in und kurz vor dem hoffentlichen Ende des zweiten Lockdown –ähnlich formulieren, habe ich sie noch nicht gefragt. Ein junger Mann aus dem Ruhrgebiet hat mir aber diese Sicht auf das Phänomen Corona gerade bestätigt. Auf meine Frage, wie er die aktuelle Situation als angehender Pfarrer einschätzt, antwortete er, dass viele in seinem nicht gerade religiös eingestellten Freundeskreis auf einmal bemerken, dass ihr bisheriges Leben in eine recht einseitige Richtung gelaufen sei. Die Vorstellung, dass man sich immer mehr Kicks durch viel Spaß oder besondere Erlebnisse verschaffen könne, werde zunehmend als brüchig erfahren. Viele junge Erwachsene seien ins Grübeln gekommen und fragten sich, was eigentlich im Leben trägt.
Als Theologin möchte ich anmerken, dass man Gott nicht einfach wie einen Deus ex machina, d.h. Gott aus der Maschine, aus dem Hut zaubern kann. Wir müssen also etwas anders einsetzen. Vielleicht bei jenem griechischen Philosophen, der einmal gemeint hat, dass es unterschiedliche Weisen gibt, Gottes Verhältnis zur Welt zu erläutern: Entweder lässt Gott das Übel bzw. das Böse zu, weil er es nicht verhindern kann. Dann ist Gott schwach, was schwer vollstellbar ist. Oder aber Gott kann es und will es nicht: Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist. Oder aber er will es nicht und kann es nicht: Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott. Oder er will es und kann es, was allein über Gott ausgesagt werden sollte. Dann aber stellt sich die Frage, woher die Übel stammen und warum er sie nicht einfach fortnimmt. Moderne Theologen rufen uns immer wieder in Erinnerung, dass sich diese Überlegungen auch auf unseren Gottesgedanken übertragen lassen. Wenn man für Übel oder Böses Corona einsetzt, ist man genau bei der uns beschäftigenden Frage „Wieso macht Gott eigentlich nicht, dass Corona weggeht?“ oder anders formuliert: bei dem Problem der Allmacht Gottes. Die Frage trägt ein Dilemma in sich, d.h. ein scheinbar aussichtsloses Gedankenspiel.
Theologen kommen aus diesem Dilemma heraus, wenn sie die Perspektive wechseln. Sie weisen darauf hin, dass Gott seine Allmacht nicht verliert, sondern dass er sie selbst begrenzt. Dies tut er, um uns Menschen zu ermöglichen, einen freien Willen zu haben oder auch um uns zu zeigen, dass er uns beisteht, wenn uns durch Dritte Unrecht oder Unheil widerfährt. Und vielleicht kommt man damit der Sache schon etwas näher. Von Gott einfach nur zu verlangen, das wieder gut zu machen, was Menschen oder Naturgewalten verursacht haben, hieße, Gott zu einem Etwas, also zu einem Gegenstand zu machen. Wir können nicht erwarten, dass er nach unserer Pfeife tanzt, sondern müssen uns daran erinnern, dass auch wir selbst es sind, die jeden Tag ein Stück dazu beitragen, dass es uns und unserer Welt wieder etwas besser geht.
Wenn man jetzt sagt, also auch den Theologen fallen nur die typischen Corona-AHA-Regeln ein, dann stimmt das natürlich in gewisser Hinsicht. Aber Theologen können den Gedanken der sich selbst begrenzenden Allmacht Gottes auch noch einmal anders zum Ausdruck bringen. Gott wird dann in einer Weise gedacht, dass er nicht nur seine Allmacht begrenzt, sondern durch seine – bis zum Tod am Kreuz führende – Menschwerdung auch seine eigene Ohnmacht wählt. Er tut dies, um uns Menschen besser, d.h. anders zu verstehen. Nichts anderes will die Rede vom Leiden Gottes zum Ausdruck bringen.
Und was bedeutet das für unsere Ausgangsfrage? Als Christin ist mir daran gelegen, zu verdeutlichen, dass wir uns zwar eine Veränderung wünschen oder erbitten können, dass wir aber nicht enttäuscht sein sollten, wenn das Erbetene nicht oder nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben, eintritt. Und insofern weist die Frage „Wieso macht Gott eigentlich nicht, das Corona weggeht?“ wirklich in den Kern des christlichen Glaubensverständnisses hinein: Sie macht uns darauf aufmerksam, dass wir nicht die plötzliche Verbesserung der Welt, wohl aber unsere eigene Veränderung ganz gewiss von Gott erbitten dürfen. Was wir von ihm erbitten können, wenn wir uns im Gespräch oder im Gebet an ihnen wenden, das sind Fähigkeiten, mit denen wir von ihm ausgestattet werden: mit Trost, der uns schmerzvolle und traurige Situation überstehen lässt, mit Mut, der uns gegen Verzweiflung schützt, und mit einer zuversichtlichen Kraft, die uns hilft, nicht müde zu werden, sondern Verhältnisse, die uns einengen und uns und andere niederdrücken, anzusprechen und dadurch – ganz allmählich – zu verändern. Ich bin also recht zuversichtlich, dass Gott uns hilft, Corona gemeinsam zu überwinden.