Neutrinos sind Elementarteilchen. Das heißt, sie gehören zu den kleinsten Bausteinen unserer Welt. Elementarteilchen sind unteilbar und nicht aus kleineren Untereinheiten zusammengesetzt. Von allen Elementarteilchen, zu denen auch die Elektronen und die Quarks gehören, sind die Neutrinos mit Abstand die leichtesten. Im Verhältnis zu dir sind sie so leicht wie ein Sandkorn im Verhältnis zur Sonne. Alle anderen Elementarteilchen haben entweder gar keine Masse, wie zum Beispiel die Teilchen des Lichts (Photonen), oder sie sind wesentlich schwerer. Es gibt Neutrinos in drei verschiedenen Sorten. Nach den Photonen bilden sie die zweithäufigste Teilchenart im Universum. Was dies bedeutet, kann man so veranschaulichen: Milliarden von ihnen durchqueren die Fläche eines Daumennagels, und zwar pro Sekunde.
Warum merken wir davon nichts? Sollten Milliarden von Teilchen pro Sekunde nicht wenigstens ein bisschen kitzeln? Nein, und das ist auch gut so. Neutrinos interagieren nur äußerst selten mit ihrer Umgebung. Wäre dieser „Wirkungsquerschnitt“, welcher auch von der Energie der Teilchen abhängt, größer, dann wäre ein Leben auf der Erde nicht möglich. Der kleine Wirkungsquerschnitt der Neutrinos erlaubt es ihnen, unbehelligt durch Daumen zu huschen, aber auch durch Stein, Stahl, ja sogar durch die ganze Erde oder durch Milliarden von Lichtjahren im Weltall. Diese Eigenschaft macht Neutrinos zu wichtigen „kosmischen Botschaftern“ (auf Englisch „Messenger“). Mit Hilfe von Neutrino-Detektoren können Forschende das Universum beobachten. Diese Forschung heißt Neutrino-Astronomie und erlaubt einen einzigartigen Blick auf Objekte im All, wie zum Beispiel auf aktive galaktische Kerne, auch bekannt als supermassive schwarze Löcher. Das sind die schwersten schwarzen Löcher im All mit bis zu mehreren Milliarden Sonnenmassen.
Einerseits sind Neutrinos also nur ein klein wenig mehr als „Nichts“. Andererseits können sie uns aber helfen, physikalische Prozesse von unvorstellbarer Energie in den Tiefen des Kosmos zu verstehen. Um solche kosmischen Neutrinos einzufangen, wird ein großer Detektor benötigt. So ein Detektor ist das „IceCube Neutrino Observatorium“ am geografischen Südpol (auf Englisch: „IceCube South Pole Neutrino Observatory“). Es besteht aus über 5.000 Lichtsensoren, die im Eis eingelassen wurden. Dort warten sie in einer Tiefe von knapp 3 Kilometern auf die seltene Wechselwirkung eines kosmischen Neutrinos. Die Sensoren sind über ein Volumen von einem Kubik-Kilometer verteilt und nehmen die bläuliche Cherenkov-Strahlung wahr, die bei einem solchen Neutrino-Ereignis entsteht. Aus dieser Strahlung können u.a. die Energie und die Richtung, aus der das Teilchen kam, bestimmt werden. So kann es den IceCube-Forschenden gelingen, Neutrinos einer bestimmten Quelle im All zuzuordnen, die durch andere Observatorien und Teleskope genauer lokalisiert wird. Eine solche Kooperation nennt man „Multi-Messenger-Astronomie“.
Die Suche nach Neutrinos gehört zur Grundlagenforschung. Diese ist nicht auf einen direkten Nutzen ausgerichtet. Bei ihr will man verstehen, woraus unser Universum im Größten und Kleinsten besteht und wie es „funktioniert“. Allerdings ist Grundlagenforschung die Basis für eine riesige Anzahl von Anwendungen, die aus unserer modernen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind: Zum Beispiel beruht die gesamte Halbleitertechnologie, die inzwischen in allen elektrischen Objekten stecken, auf Ergebnissen der Grundlagenforschung, die vor 200 Jahren begann. Aber erst vor ca. 80 Jahren fanden die Ergebnisse langsam ihren Durchbruch in der Anwendung. Auch die Satellitennavigation (GPS) würde ohne das Verständnis einer zunächst scheinbar sehr „anwendungsfernen“ Theorie aus der Grundlagenforschung, nämlich der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein, nicht funktionieren.
Grundlagenforschung arbeitet immer an der Grenze des technischen Machbaren, um den Geheimnissen der Natur auf die Spur zu kommen. Dabei entstehen häufig „Nebenprodukte“, die dann schnell Eingang in die Anwendung finden. So wurden im Rahmen der Entwicklung von Detektoren für Teilchenbeschleuniger Halbleiterdetektoren entwickelt, die heute in der bildgebenden Medizin z.B. in Röntgenapparaten eingesetzt werden und dort für eine Reduktion der Strahlenbelastung sorgen. Ein anderes Beispiel ist das Internet. Dessen Grundlagen wurden entwickelt, um zunächst Großrechner von Universitäten und Forschungseinrichtungen zu verbinden und später Wissenschaftler*innen per Email miteinander kommunizieren zu lassen.