Werden heute noch neue Instrumente erfunden?

Die menschliche Neugier und das VergnĂŒgen am Experimentieren scheinen unendlich zu sein, was auch im Bereich der Musik leicht zu bemerken ist. Dies betrifft nicht nur neue MusikstĂŒcke, sondern auch die Werkzeuge, mit denen wir Musik machen. Eine kurze Antwort lautet daher: Ja, auch heute werden noch neue Musikinstrumente erfunden. Doch gehen wir zunĂ€chst einen Schritt zurĂŒck: Was sind denn eigentlich Musikinstrumente?

Üblicherweise gehen wir davon aus, dass es sich hierbei um GegenstĂ€nde handelt, die ausschließlich benutzt werden, um KlĂ€nge und Töne zu erzeugen. Doch bereits schĂ€tzungsweise 40.000 Jahre alte archĂ€ologische Funde zeigen, wie schwierig hĂ€ufig Musikinstrumente von AlltagsgegenstĂ€nden zu unterscheiden sind. Denn woher wissen wir mit Sicherheit, dass ausgehöhlte Knochen mit eingeborten Löchern tatsĂ€chlich als Flöte benutzt wurden? Oder war es vielleicht eine Signalpfeife fĂŒr eine Kommunikation ĂŒber weite Entfernungen? Ob solche GegenstĂ€nde also wirklich dafĂŒr gebraucht wurden, um mit einer Ă€sthetischen Absicht schöne, beschwörende oder spirituelle KlĂ€nge zu produzieren, lĂ€sst sich oft nicht mehr beantworten. Behalten wir dies zunĂ€chst im Hinterkopf.

Mit Blick auf unsere Situation in Europa haben sich seit den ersten FundstĂŒcken menschlicher Klangerzeugung bis zur heutigen Zeit bestimmte Instrumentengruppen entwickelt und sehr stark ausdifferenziert, die unsere Klangvorstellungen prĂ€gen: Schlag-, Holzblas-, Blechblas-, Streich-, Zupf- und Tasteninstrumente. Konkrete Beispiele fĂŒr jede dieser Gruppen sind etwa Trommeln, Blockflöten, Trompeten, Geigen, Harfen und das Klavier. Vor etwas mehr als 100 Jahren kamen im frĂŒhen 20. Jahrhundert noch elektronische Instrumente wie das Theremin oder das Trautonium hinzu, bis in den 1960er Jahren der Synthesizer erfunden wurde.

Auch die UrsprĂŒnge unserer heutigen Schlag-, Holzblas- und Zupfinstrumente reichen mindestens bis ins Altertum zurĂŒck (zumindest wissen wir dies aus Aufzeichnungen aus dem alten Griechenland), vermutlich sogar aber noch weiter zurĂŒck. Seit ihren AnfĂ€ngen haben diese Instrumente vielfĂ€ltige Erweiterung und VerĂ€nderungen erlebt. Ein gutes Beispiel ist das Fagott: Es entstand vor rund 600 Jahren als Teil der Familie der Holzblasinstrumente. Ein Fagott moderner Bauart unterscheidet sich allerdings grundlegend von einem Fagott aus der Barockzeit. UrsprĂŒnglich hatte es Grifflöcher, wie man sie heute beispielsweise noch von einer Blockflöte kennt. Viel grĂ¶ĂŸere AbstĂ€nde zwischen den einzelnen Löchern, als man mit einer ausgespreizten Hand greifen kann, waren dabei nicht möglich. Daher entwickelte man vor ĂŒber 200 Jahren eine komplizierte Mechanik mit Klappen, Hebeln und Schaltern, mit denen sich nun sehr große Instrumente bauen ließen, sodass sich der Tonumfang des Fagotts entscheidend erweitern ließ. Andere Instrumente hingegen, etwa die Streicher, haben sich seit ihrer Entstehung vor ca. 500 Jahren kaum verĂ€ndert. Eine Violine aus dem Jahr 1580 lĂ€sst sich daher problemlos heute spielen. Eine wesentliche VerĂ€nderung zeigt sich aber bei ihrer musikalischen Verwendung, denn vor allem das Violoncello emanzipierte sich endgĂŒltig im 19. Jahrhundert von einer Begleitstimme zu einem besonders beliebten Soloinstrument.

Kommen wir nun zu unserer Frage vom Anfang zurĂŒck: Warum entstehen neue Instrumente und weshalb werden bereits erfundene Instrumente weiterentwickelt? Die Antwort ist zugleich einfach und sehr kompliziert: FĂŒr eine Erfindung braucht man einen guten Grund, zum Beispiel ein Problem, das man lösen will, eine HĂŒrde, die es zu ĂŒberwinden gilt, oder ein Werkzeug fĂŒr einen Klang, den man auf keine andere Weise realisieren kann. Hierbei unterscheidet sich die Erfindung von Instrumenten zunĂ€chst nicht von anderen technischen und kreativen Entdeckungen. Komponistinnen und Komponisten sind hieran nicht nur sehr interessiert, da sie musikalisch immer neue Wege suchen, sie probieren solche Erfindungen hĂ€ufig auch direkt aus. Das im Jahr 1796 komponierte Trompetenkonzert von Joseph Haydn war zum Beispiel das erste Werk fĂŒr die neu erfundene Klappentrompete. Dadurch verfĂŒgte Haydn in seiner Komposition ĂŒber eine viel grĂ¶ĂŸere Tonvielfalt, als eine Naturtrompete geboten hĂ€tte, bei der man Töne nur mit den Lippen erzeugen kann.

Die Entstehung neuer Instrumente ist auch ein guter Spiegel der technischen Entwicklung insgesamt. Als sich in der westlichen Welt im spĂ€ten 19. Jahrhundert die ElektrizitĂ€t durchsetzte, Telefon und Radio entstanden und GroßstĂ€dte sich plötzlich mit elektrischem Licht taghell beleuchten ließen, nutzte man auch im Bereich der Musik schnell die neuen Möglichkeiten. Von dort aus war der Weg zu computerbasierten Musikinstrumenten und Apps gar nicht mehr weit, sodass wir heute mit unseren Smartphones alle selbst ganz einfach Musik machen können, wenn es uns Spaß macht.

Viele Komponistinnen und Komponisten unserer Zeit experimentieren daher wie die Generationen vor ihnen mit KlĂ€ngen. Mal prĂ€parieren sie traditionelle akustische Instrumente oder verwenden besondere Spieltechniken, sodass sich das Klangergebnis wesentlich vom Ursprungsklang des Instruments unterscheidet. In zeitgenössischen Kompositionen werden zusĂ€tzlich oftmals AlltagsgegenstĂ€nde zur Klangerzeugung integriert. Hier sind die Möglichkeiten unbegrenzt, nahezu jeder Gegenstand eignet sich dazu: raschelndes Papier, MetallgegenstĂ€nde, tropfendes Wasser oder mit einem Mikrofon verstĂ€rkte und verzerrte GerĂ€usche. Auch Klangerzeuger, die eigentlich nicht fĂŒr musikalische Zwecke entwickelt wurden, können in Kompositionen eingesetzt werden: Denn auch eine Autohupe kann fĂŒr die Dauer des MusikstĂŒcks ein Musikinstrument sein.

Aber auch herkömmliche, akustische Musikinstrumente werden heute noch erfunden, manchmal mit elektronischen Bestandteilen, wie zum Beispiel die E-Gitarre, eine akustische Gitarre mit Tonabnehmer oder ein Schlagzeug mit Mikrofonen. Es braucht jedoch eine gewisse Zeit, bis solche GegenstĂ€nde, die sich fĂŒr die Musik nutzen lassen, im Bewusstsein einer Gesellschaft fest verankern. Die im Jahr 2000 entwickelte hang drum etwa hat, auch wenn uns der Begriff möglicherweise nichts sagt, ihren Einzug in die Weltmusik gefunden und begegnet uns oft in der Straßenmusik.

 Auf der Suche nach neuen Musikinstrumenten lassen sich also drei Beobachtungen machen: Neue Instrumente sind hĂ€ufig Teil revolutionĂ€rer gesellschaftlicher UmbrĂŒche (Stichwort „Digitalisierung“), neue Instrumente sind nicht immer direkt als solche zu erkennen (Stichworte „AlltagsgegenstĂ€nde“ und „prĂ€parierte Traditionsinstrumente“) und manche neuen Instrumente sind in Spezialist*innenkreisen Standard, ohne in der Öffentlichkeit bemerkt zu werden (Stichwort „Bekanntheitsgrad“). Manchmal ist es aber auch einfach der Spaß am Experimentieren mit KlĂ€ngen und GerĂ€uschen, die neue Instrumente entstehen lassen. Habt ihr vielleicht auch schon mal eins gebaut, erfunden, gebastelt und gespielt?

Dieser Text wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Studierenden der Musikwissenschaft Felix Drake und Prof. Dr. Michael Custodis im Sommersemester 2024 erstellt.

Felix Drake und Prof. Dr. Michael Custodis

Institut fĂŒr Musikwissenschaft

Zum Weiterlesen:
ALEXANDER HÄUSLER, Art. MusikarchĂ€ologie, PalĂ€olithikum und Mesolithikum in: MGG Online, hrsg. von Laurenz LĂŒtteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., zuerst veröffentlicht 1997, online veröffentlicht 2016, https://www-mgg-online-com.ez.folkwang-uni.de/mgg/stable/51179, abgerufen am 15.03.2024
MATTHIAS Nöther, Art. Virtuelle Klangerzeugung mit Smartphone und Apps, online veröffentlicht 2017, https://www.deutschlandfunk.de/symposium-in-berlin-virtuelle-klangerzeugung-mit-smartphone-100.html, abgerufen am 15.03.2024

https://www.uni-muenster.de/Musikwissenschaft/Institut/custodis.html
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