Wie erklĂ€rt man „gravitative Zeitdilatation“?

Dazu fange ich wie folgt an: Was ist ĂŒberhaupt Zeit? Die ehrliche Antwort eines Physikers ist: Wir wissen nicht, was Zeit ist. Wenn wir Zeit messen, dann zĂ€hlen wir Schwingungen. Wir zĂ€hlen zum Beispiel bei einer Atomuhr bestimmte Übergangsfrequenzen von Elektronen im CĂ€sium. So ist eine Sekunde definiert: Als das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes CĂ€sium emitiiert wird. Also letztlich ist Zeit fĂŒr einen Physiker zĂ€hlen. Wenn wir aber zĂ€hlen, haben wir eine bestimmte Anzahl von solchen Schwingungen, die wir zĂ€hlen können. Und das hĂ€ngt mit der Energie zusammen. GrundsĂ€tzlich zĂ€hlt man immer im Vergleich zu etwas Anderem. Das heißt, das Eine ist ein Taktgeber, da wird gezĂ€hlt, und das Andere ist entweder schneller oder langsamer. Wenn nun etwas schneller oder langsamer ist, dann zĂ€hle ich dazu relativ entweder mehr oder weniger.

In diesem Fall habe ich aber relativ dazu auch mehr oder weniger Energie, denn Energie ist proportional zu einer bestimmten Anzahl von Schwingungen pro Sekunde. Das heißt, Energie und Schwingungen pro Sekunde stehen in einem direkten Bezug zueinander: die Ruheenergie. Da steht die Formel E=mcÂČ dahinter, auch das ist eine Grundgleichung: Jede Energie kann auch als Masse verstanden werden und diese Masse wiederum kann man als eine bestimmte Anzahl von Schwingungen pro Sekunde verstehen: E = h f, wobei h das Planck‘sche Wirkungsquantum und f die Frequenz ist. Nun kommen wir zu einem wichtigen Punkt: Wenn ich jetzt im Gravitationspotenzial eine Masse von unten nach oben hebe, dann verĂ€ndere ich auch die Energie, da das Gravitationspotenzial einer bestimmten Energie entspricht. Wenn ich die Masse wieder runterfallen lasse, dann habe ich das in Bewegungsenergie umgewandelt. Das heißt aber, diese VerĂ€nderung in der Energie, die dann auch eine winzige VerĂ€nderung der Masse bewirkt, Ă€ußert sich auch in einer anderen Anzahl von Schwingungen pro Sekunde. Das bedeutet, wenn ich also unten ein MassestĂŒck habe, mit einer bestimmten Anzahl von Schwingungen pro Sekunde, die der Ruhemasse entsprechen, ist das weiter oben im Gravitationspotenzial etwas, was ein bisschen schneller schwingt, weil es mehr Energie hat. Dies entspricht nun dem, was man als gravitative Zeitdilatation bezeichnet – eine Art ZĂ€hlverzug aufgrund von Energieunterschieden. Im Grunde sind das alles verschiedene Wörter, die sehr eng miteinander zu tun haben: Masse proportional zu Schwingungen pro Sekunde und Schwingungen pro Sekunde werden mehr, wenn es mehr Energie hat, mehr Energie kann eine Masse dadurch haben, dass ich sie hochhebe.

Anwendung: Im Film „Interstellar“ reisen Astronauten auf einen Neutronenstern, wĂ€hrend ein anderer Astronaut oben im Orbit bleibt. Diejenigen, die im Gravitationspotential „herunterfallen“, haben eine geringere Energie, da sie tiefer „heruntergefallen“ sind, und erleben weniger Schwingungen pro Sekunde als derjenige, der oben bleibt. Wer unten auf dem Planeten 1 Woche erlebt, kann oben 1 Monat gealtert sein.

Die Berechnung dazu findet ihr hier.

Prof. Stefan Heusler

Institut fĂŒr Didaktik der Physik

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